Wie die Menschen, so die Möbel: der Shabby Chic

Der Trend zu Retro-Produkten ist keine Erfindung der letzten Jahre. Schon immer war der Hang zu Vergangenem mit Romantik und Nostalgie verbunden. Gerade im Wohnbereich: Flohmarkt-Radios aus den Sechzigern haben einen ähnlich hohen Stellenwert wie Plattenspieler oder Petticoats. Neu (und doch gleichzeitig alt) dagegen sind Tapeten mit floralem Muster und bunten Farben. Dort findet der Shabby Chic seine Erfüllung. Dass es primär junge, modebewusste Menschen in Großstädten sind, die dem Shabby Chic zum Erfolg verholfen haben, ist jedoch keine Überraschung.

Schrecklich – oder schrecklich-schick?

An Wohntrends wie dem Shabby Chic scheiden sich die Geister. Denn in einem Punkt unterscheidet sich der Stil deutlich von anderen Trends. Das bewusste Ältermachen der einzelnen Objekte steht im Widerspruch zum Wunsch nach gut erhaltenen Einrichtungsstücken und Accessoires. Dieses scheinbare Paradoxon ist zugleich der Knackpunkt – denn davon lebt der Shabby Chic. Er ist folglich eine Gratwanderung: Die Sachen sollen intakt sein, aber nicht danach aussehen. Der zerstörte, verkommene Charakter wird bewusst angestrebt und sorgt für den eigentlichen Charme dieses Wohnstils. Ein Blick auf die Hauptzielgruppe des Shabby Chic zeigt zudem erstaunliche Parallelen.

Im Namen Kreuzbergs…

…oder jedes anderen Hipster-Stadtteils in Deutschland: Bewusst übertriebene Lässigkeit und überbetonte Ironie machen momentan Schule. Was mit dioptrienfreien Brillen und 80er-Jahre-Strickpullis begann, setzt sich zu gewissen Teilen auch im Shabby Chic fort. Das Alte gibt der Wohnung einen neuen, nicht ganz gewöhnlichen Look. Wobei einfach nur „alt“ viel zu einfach ausgedrückt ist – alleine darum geht es nämlich nicht. Als echte Eyecatcher fungieren ungewöhnliche Elemente; Wohnaccessoires mit verspieltem, verträumtem Touch sorgen für Unikat-Charakter fernab des heutigen Mainstreams.

Die zwei Seiten der Medaille

Dieselbe Ambivalenz gilt auch beim Preis. Das Abenteuer Shabby Chic beginnt somit schon bei der Beschaffung. Es ist kein Geheimnis, dass ein gewisser Grundstock stets auf dem Flohmarkt gekauft wird. Dieser Grundstock sieht nicht nur alt aus, sondern ist es auch; die Substanz darf gerne noch gut erhalten sein, die Oberfläche sollte jedoch abgenutzt und verschlissen sein. Solche „abgetragenen“ Objekte werden nun in direkte Nachbarschaft mit ausgefallener Neuware gesetzt.

50-Cent-Einkäufe und Exklusivware für mehrere hundert Euro gehen dabei eine erstaunliche Symbiose ein, auch wenn mit dem Online Gutschein für Wohnaccessoires der ein oder andere Euro gespart werden kann. Wichtig auch die Farben: Matte Töne sind ein zentrales Thema. Von Babyrosa bis Türkis sind alle sanften Farben und Farbmischungen mit von der Partie, ganz im Gegenteil zu grellen und allzu bunten Tönen. Gerade in Räumen mit hohen Decken und verspielten Wandelementen (etwa Stuck), wie es in vielen Altbauten der Fall ist, kommen die Stärken des Shabby Chic zum Tragen.

Glanz ohne Glanz – ein Widerspruch?

Der Lack ist ab – diese Regel ist eine der obersten Grundsätze des Shabby Chics. Genau dadurch versprühen die meisten Objekte allerdings ihren Charme; ein gewisser Glanz lässt sich dabei eben nicht leugnen. Der Shabby Chic wird von hippen Jungphilosophen somit als Beweis für die Zerrissenheit der heutigen Zeit betrachtet; er erreicht seine Ziele, indem er genau den umgekehrten Weg geht.

Und das mit Erfolg. Da der Shabby Chic mehr polarisiert als andere Stilrichtungen, bleibt abzuwarten, ob er sich im Laufe der Zeit zum Evergreen entwickelt oder ob er aus dem allgemeinen Bewusstsein wieder verschwindet. Seinen Platz in der Geschichte des modischen Lifestyles hat er in jedem Fall sicher.

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